Das Friedhofsbuch des Nordfriedhofs verzeichnet 285 Ausländer, die in der Zeit des Zweiten Weltkrieges dort begraben wurden. Auf allen Kommunalfriedhöfen zusammen liegen 520 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. 82 % von ihnen waren sowjetische Staatsbürger. Die anderen waren Polen, Belgier, Holländer, Serben, Kroaten, Norweger und Italiener. Dass 80 % der Toten aus den besetzten Gebieten der UdSSR kamen, hängt zum einen mit der im Verhältnis zu anderen Nationen hohen Zahl, zum anderen aber auch mit der unmenschlichen Behandlung während ihres Arbeitseinsatzes zusammen.
Die Behandlung der Zwangsarbeiter erfolgte nach genauen Vorschriften der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), die sowohl das Verhältnis Deutschlands zum jeweiligen Rekrutierungsland (Kriegsgegner oder Verbündeter) als auch die Zugehörigkeit zu einer von der nationalsozialistischen Rassenideologie bestimmten Volksgruppe („germanisches Volk“, „nicht germanisches Volk“, „Slawen“ etc.) zur Grundlage hatte. Die Vorschriften wurden dem Wachpersonal ausgehändigt. Auf die strenge Durchführung wurde geachtet.
Die NS-Führung hatte es auf Grund ihrer rassistischen Ideologie nie ernsthaft in Erwägung gezogen, ausländische Arbeitskräfte in umfangreicher Weise in der Wirtschaft des Deutschen Reiches einzusetzen. Das Scheitern der Blitzkriegsstrategie gegen die Sowjetunion ließ sie in dieser Frage umdenken. Millionen deutscher Soldaten waren an den Fronten in Europa gebunden; sie fehlten als Arbeitskräfte und mussten nun durch Zwangsarbeitet aus den besetzten Gebieten ersetzt werden. Seit März 1942 war Fritz Sauckel als „Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz“ im Deutschen Reich damit beauftragt, ein Millionenherr von Zwangsarbeitern aus ganz Europa zusammenzutreiben.
In Recklinghausen kamen zwischen 1940 und 1945 pro Jahr etwa 8000 bis 10.000 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter zum Einsatz. Sie arbeiteten in der Landwirtschaft, vor allem aber in den Großbetrieben wie den Zechen König Ludwig, General Blumenthal und Recklinghausen II, der Becurit Grubenausbau GmbH, dem Eisenwerk Stolle, den Bischoff-Werken, dem Reichsbahnausbesserungswerk und vielen anderen Betrieben.
Über die ersten Zwangsarbeiter, die 1942 in Hochlarmark auf der Zeche Recklinghausen II arbeiten mussten, berichtet ein Zeitzeuge: „Die meisten von ihnen waren junge Frauen. Sie bezogen das Barackenlager, das vorher von den Italienern bewohnt war. Mit der durch den jüdischen Davidstern verbundenen rassistischen Zurschaustellung und Ausgrenzung vergleichbar war die Pflicht der Ostarbeiter, auf ihrer Kleidung ein an der Brust aufgenähtes Stoffquadrat, weiße Streifen im Karree auf blauem Grund mit der Aufschrift „OST“ zu tragen.
Die ukrainischen Arbeitskräfte in Hochlarmark wurden vornehmlich in die Zentralaufbereitungsanlage oder im Übertagebetrieb der Zeche beschäftigt, nicht aber im Untertagebetrieb der Schachtanlage. Für ihre geleistete Arbeit erhielten sie auch Lohnzahlungen. Wie das Zechengelände, so wurde auch das Lager vom Werkschutz bewacht und mit einem Stacheldrahtzaum umgeben. Dadurch wurde aber die Bewegungsfreiheit der Ostarbeiter keinesfalls eingeschränkt: sie durften das Lager verlassen, konnten sich in Hochlarmark frei bewegen und gingen ohne Bewachung zur Arbeit.“
Bereits im Durchgangslager wurde für die Zwangsarbeiter eine Arbeitskarte mit Lichtbild erstellt, und zwar in doppelter Ausführung für das Reichssicherheitshauptamt und das örtliche Arbeitsamt. Von diesen Dokumenten ist für Recklinghausen nichts erhalten. Rigide Bestimmungen der Gestapo, rassistisch abgestimmt auf die jeweilige Volksgruppe der Zwangsarbeiter, dokumentieren ihr Sklavendasein: Es bestand eine Ausgangsbeschränkung und öffentliche Verkehrsmittel durften nur mit Genehmigung genutzt werden. Der Besitz von Fahrrädern und der Besuch von Gaststätten war verboten. Auf Geschlechtsverkehr mit Deutschen stand die Todesstrafe. Bei Luftangriffen war es ihnen verboten, Schutzräume aufzusuchen. Gegen Kriegsende starben viele von ihnen, weil sie den Bomben schutzlos ausgeliefert waren.
Die schlechte Ernährung und die besonders zum Kriegsende immer unhaltbareren hygienischen Verhältnisse förderten Krankheiten wie Fleckfieber, Typhus, Tuberkulose u. ä., woran sehr viele Zwangsarbeiter auch in Recklinghausen starben. In den Wirren der Endkriegszeit verließen die meisten Lagerleitungen die Lager und überließen die Zwangsarbeiter ihrem Schicksal. Nach der Befreiung kam es zu Racheakten und Plünderungen bis hin zum Mord vor allem auf dem Land. Erst im Verlaufe des Herbstes trat eine allmähliche Normalisierung der Lage ein. Bis zum Jahresende 1945 waren die meisten Zwangsarbeiter in ihre Heimatländer zurück geführt.
[Vgl. 3.11 Schuften für den „Herrenmenschen“ (Gräber von Zwangsarbeitern, Nordfriedhof), in: Geck, Möllers, Pohl, „Wo du gehst und stehst…" Stätten der Herrschaft, der Verfolgung und des Widerstandes in Recklinghausen 1933-1945, Recklinghausen 2002, S. 141-143]