3.01 „Staatsfeinde im Priesterrock“

Nach der erfolgreichen Ausschaltung von Parteien und Gewerkschaften, der Gleichschaltung von Bürokratie, Verbänden und Organisationen und dem Ausbau des totalitären Machtapparats wandte sich das Regime zunehmend gegen die letzten konkurrierenden und weltanschaulich konträren Großgruppen, die Kirchen. Damit gerieten die „politischen Geistlichen“, neben Juden, Kommunisten und Freimaurern für SD-Chef Reinhard Heydrich die „wichtigsten Volks- und Staatsfeinde“ ins Visier. Am 17. Juli 1935 hatte Hermann Göring, preußischer Ministerpräsident und Gestapo-Chef öffentlich einen Erlass mit „Maßnahmen gegen Staatsfeinde im Priesterrock“ (NZ-Titelseite, 19.07.1935) angekündigt, die „unter dem Deckmantel religiöser Betätigung“, zum Teil „in hinterhältiger und verlogener Form“ ihre Stellung „zu politischen Zwecken missbrauchen“. Und er drohte offen,  „gegen solche Mitglieder des Klerus vorzugehen, die die Autorität ihrer geistlichen Stellung zu politischen Zwecken missbrauchen.“

In derselben NZ-Ausgabe wird unter der Schlagzeile „Anmaßung der Bekenntnisfront“ übrigens dem namentlich kritisierten Bischof von Galen (Münster) mit seinen „antinationalsozialistischen Zielen“ der evangelische Landesbischof Meiser (München) gleich gestellt. Bereits neun Tage später verfügte Heydrich die systematische Überwachung von Geistlichen. Der Überwachungsapparat reichte reichsweit von der Gestapo bis hin zu den örtlichen Parteiorganisationen.

National-Zeitung, 19. Juli 1935National-Zeitung, 19. Juli 1935

Reichskirchenminister Kerrl hatte als Ziel des Vorgehens des nach Judentum und Reaktion „mächtigsten Feindes“, die katholische Kirche, zunächst die Zurückdrängung auf ihr „eigentliches Feld“, anschließend „das Vorgehen gegen die Kirche selbst“ angegeben. Da angesichts dieser Zielsetzung zunehmend auch originär seelsorgerische Tätigkeiten, wie Predigten, Beichte, Hausbesuch, Jugendseelsorge unter den Vorwurf „politischer Tätigkeit“ gerieten, waren es schließlich 10.315 katholische Priester, die ein- oder mehrfach von Maßnahmen des Regimes betroffen waren.

Mit seiner spektakulären Inhaftierung als „Hetzkaplan Bombitzki“ war der Geistliche der St. Paulus-Pfarrei 1933 der erste von 32 Priestern in Recklinghausen, die in Konflikt mit Gestapo oder Gerichten gerieten. Dabei war das Konfliktfeld, nämlich die Auseinandersetzungen um das Existenzrecht katholischer Jugendverbände typisch auch für eine Reihe späterer Fälle.

Ein entscheidender gesetzlicher Baustein für die Maßnahmen war das sogenannte „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniform“ vom 20.12.1934, das mit der beliebig auslegbaren Strafandrohung gegen jede „Schädigung des Ansehens“ von Partei und Staat der Willkür Tür und Tor öffnete.

Auf dieser Basis wurde am 03.06.1940 auch Pfarrer Joseph Althoff „wegen feindseliger Haltung gegen das Dritte Reich“ verhaftet. Auch hier hatten Bespitzelungen durch die NS-Ortsgruppe und ihren Leiter „belastendes Material“ gesammelt. Die Tatsache, dass auch ehemalige Katholiken gegen den Gemeindepfarrer vorgegangen waren, zeigten hier, dass dem Nationalsozialismus hier ein Einbruch ins katholische Milieu gelungen war. Seine Haftentlassung sechs Monate später konnte Althoff nur durch Verzicht auf seine Pfarrstelle St. Gertrudis erreichen.

Gerade die Anfangsjahre des Krieges ab 1939 wurden vom Regime zum massiverem Vorgehen genutzt. Am 8. März 1941 kam es in der katholischen Kirchengemeinde Essel zur Verhaftung des Priesters Reinhold Friedrichs. Friedrichs hatte nach seiner Entlassung als Religionslehrer begonnen, bistumsweit „religiöse Wochen“ durchzuführen. Dazu hatte er auch in Hl. Geist/Essel täglich sechs Predigten gehalten, die steigende Besucherzahlen aufwiesen. Nach einem Gedenken für inhaftierte Priester wurde er am 6. März von der Gestapo verhaftet. Die Reaktion der Bevölkerung, die nach der Nachricht in der Kirche zusammenströmte, unterstreicht zwar den Zusammenhalt von Klerus und katholischem Milieu, verdeutlicht aber auch die Entschlossenheit des Regimes, das ihn dessen ungeachtet elf Tage später in das KZ Sachsenhausen, im September dann in das KZ Dachau verbrachte.

Bereits 1939 hatte eine religiöse Woche ebenfalls in Essel zu einem Verfahren wegen des Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ geführt. Pater Alkuin Gassmann (1890 - 1966) hatte in einer Predigt am 03.09.1939 - also zwei Tage nach dem Überfall deutscher Truppen auf Polen - im Gegensatz zur inszenierten Kriegspropaganda über den „Heldentod auf dem sogenannten Feld der Ehre“ gesprochen. Ende 1939 entging er noch knapp einer Verurteilung durch das Sondergericht Dortmund, stand allerdings jetzt unter ständiger Bespitzelung.

Am 11. August 1942 wurde er wegen „herausfordernder“ Hetzreden und fortgesetzter „defaitistischer Hetz- und Wühlarbeit“ erneut verhaftet. Anlass war erneut eine kritische Predigt über den Krieg in der Pfarrei Hoetmar: „Davon, ob Deutschland den Krieg gewinnt oder verliert, hängt es ab, ob Deutschland in Zukunft christlich oder heidnisch wird,“ hatte der Spitzel den Predigttext notiert. Die Predigt auf dem Höhepunkt des deutschen Siegeszugs in der UdSSR entzog nicht nur der offiziellen antibolschewistischen Kreuzzugsideologie der Nationalsozialisten den Boden. P. Alkuin stellte damit auch den Staatspatriotismus seiner katholischen Zuhörer infrage, soweit er sie angesichts des Krieges trotz Ablehnung von NS-Ideologie und Regime aus Patriotismus, Staatsloyalität oder der Solidarität mit Familienmitgliedern, die an der Front standen, einen Sieg erhoffen ließ.

Reinhard FriedrichsPater Alkuin und August Wessing, der frühere Kaplan von St. Antonius trafen 1941 im KZ Dachau zusammen und gehörten dort zu den 441 inhaftierten deutschen Priestern. Mit 38 Inhaftierten bildete das Bistum Münster unter den 411 katholischen Priestern dabei die größte Gruppe. Ab Winter 1940/41 war die Zahl so gestiegen, dass die mittlerweile 2.700 Geistlichen aus 21 Nationen in eigenen „Priesterbaracken“ zusammengefasst wurden. Pater Alkuin, der unmittelbar nach seiner Festnahme bereits Verfügungen für seinen Todesfall niedergelegt hatte, überlebte Lagerhaft, Epidemien und Zwangsarbeit, wurde 1945 befreit und wirkte 1958-1966 noch einmal als Hausoberer im Kloster Stuckenbusch.

[Vgl. 3.1 „Staatsfeinde im Priesterrock“ (Kloster Stuckenbusch), in: Geck, Möllers, Pohl,  "Wo du gehst und stehst…", Stätten der Herrschaft, der Verfolgung und des Widerstandes in Recklinghausen 1933 bis 1945,  Recklinghausen 2002, S. 114ff.]

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