2.11 Die Gleichschaltung der Arbeitersiedlungen

Die Bergarbeitersiedlungen des Ruhrgebietes galten in der Zeit der Weimarer Republik als rote Hochburgen. Hier hatte die KPD ihre größten Wahlerfolge. Die bei der Reichstagswahl am 6. November 1932 abgegebenen Stimmen im Wahllokal Schlüter in Hochlarmark, Westfalenstraße 152, ergaben folgendes Bild: NSDAP 96 (8 %), KPD 506 (42 %), Zentrum 180 (15 %), SPD 111 (9 %). Ähnlich sah es im Wahllokal Busch an der Salentinstraße aus: NSDAP 132 (11 %), KPD 539 (47 %), SPD 78  (6%), Zentrum 285  (24 %). Auch im Wahllokal Wirtschaft Platte an der Marienstraße 101 in Recklinghausen-Süd waren die Erfolge der KPD unübersehbar: NSDAP 182 (18 %), KPD 401 (39 %), SPD 116 (11 %), Zentrum 224 (22 %).

In Hochlarmark war die starke Position der KPD auf die konsequente Interessenvertretung ihrer Betriebsräte auf der Zeche Recklinghausen II zurückzuführen. Ihre Devise, so ein Zeitzeuge war: „Für den Kumpel rausholen, was rauszuholen ist.“ Die KPD verkörperte, besonders nach den Erfahrungen des Kapp-Putsches 1920, die revolutionären Hoffnungen der Bergarbeiter. Sie war im Zechenbetriebsrat und den lokalen Vereinen fest verankert. Anfang der 30er Jahre veränderte sich das Profil der örtlichen KPD. Streikniederlagen und Entlassungen schwächten ihre Basis auf den Zechen; ihre Mitglieder waren größtenteils erwerbslos. Allerdings führte der lokale Einflussverlust nicht zu einem Rückgang des Wählerpotentials, das sich von der KPD immer noch einen revolutionären Ausweg aus der Krise erhoffte.

Die nationalsozialistische Machtübernahme stieß 1933 auf eine KPD, die ihre Schwächen durch schnelllebige Kampagnen und Aktionismus überdecken konnte. Die NSDAP selbst war zu diesem Zeitpunkt als politische Kraft in Hochlarmark kaum spürbar. Selbst am Tag der Vereidigung des Kabinetts Hitler-Papen-Hugenberg signalisierte nur ein einziger Hochlarmarker seine Zustimmung durch Aushängen einer Hakenkreuzfahne. Erst Ende Februar 1933 gelang es einer SA-Standarte, unbehelligt durch die rote Siedlung zu marschieren. Mit dem Erlass Görings vom 22. Februar 1933 zum Einsatz von SA-, SS- und Stahlhelmmännern als Hilfspolizisten hatte sich die personelle Stärke der Verfolgungsorgane erheblich erhöht. In der Recklinghäuser Zeitung konnte man am 31. März 1933 einen Aufruf des Führers der SA-Standarte 143, Paul Faßbach, lesen: Zur Sicherung des Göring-Erlasses brauche man Hilfspolizisten; Interessenten könnten sich im Raum 101 des Polizeipräsidiums melden. Finanzielle Entschädigung für diese Arbeit geben es nicht, wohl aber eine warme Mahlzeit und Kleidung.

Diese bewaffneten Einheiten trugen ab Mitte März Angst und Unsicherheit in die Arbeiterquartiere. Straßen wurden abgeriegelt, Wohnungen durchsucht, Verfol-gungsaktionen durchgeführt, Flugblätter, Druck- und Schreibmaschinen requiriert. Über die ersten Verfolgungsmaßnahmen berichtet ein Zeitzeuge: „Im März 1933 sind SA und Polizei zu uns gekommen und haben Haussuchung gemacht. Mein Vater war in der KPD, im Jung-Quartett „Freie Bühne“ und im Arbeiter-Radio-Club. Die meisten Radio-Sachen haben sie beschlagnahmt, meinen Vater haben sie mitgenommen, nach Recklinghausen aufs Polizeipräsidium. Er musste unterschreiben, dass er sich nicht mehr politisch betätigen würde, danach haben sie ihn laufen lassen. Sie konnten ja nicht alle Hochlarmarker Kommunisten und KPD-Wähler einsperren, dann hätten sie die halbe Siedlung festnehmen müssen. Aber einige besonders bekannte Kommunisten kamen für länger weg, ins Gefängnis, ins Zuchthaus oder ins KZ zu den „Moorsoldaten“.

Manche blieben drei Monate weg, andere drei Jahre. Und wenn sie dann wiederkamen, haben sie sich meist nicht mehr politisch betätigt. Im Zentrum der Dreieckssiedlung vernichteten die Nationalsozialisten in einer Bücherverbrennung unter anderem den Bestand der Ortsbücherei des Alten Verbandes (sozial-demokratischer Bergarbeiterverband). Das die „roten Hochburgen“ nun nahezu schutzlos den Gegnern ausgeliefert waren und auf dem eigenen Terrain geschlagen wurden, führte zu einem Klima der Angst, der Wehrlosigkeit und Resignation. Übertritte ehemaliger Führer der KPD in SA und NSDAP verhärteten die Tendenz. Die Nachbarschaftsverbindungen und die Solidargemeinschaft lösten sich allmählich auf. Reserviertheit, Vorsicht im Gespräch sowie der Rückzug in die Familie und den engsten Freundeskreis wurden zu gängigen Verhaltensweisen. Die Isolation des politischen Widerstandes durch den nationalsozialistischen Terror bedeutete allerdings nicht, dass die ältere Bergarbeiterbevölkerung dem Regime zugestimmt hätte; es war ehe eine „zähneknirschende Duldung“.

[Vgl. 2.12  Die Auflösung der „roten Hochburgen“ (Dreieckssiedlung), in: Geck, Möllers, Pohl, „Wo du gehst und stehst…" Stätten der Herrschaft, der Verfolgung und des Widerstandes in Recklinghausen 1933-1945, Recklinghausen 2002, S. 79-81]


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