Gymnasium Petrinum

Gedenk- und Erinnerungskultur am Gymnasium Petrinum Recklinghausen


Gliederung

1. Einleitung 
2. Regelmäßige Projekte 
2.1 Curriculares Konzept der Erinnerungsarbeit 
Modul 1: Stufe 6 
Modul 2: Stufe 8 
Modul 3: Stufe 9 
2.3 Israel-Austausch mit der Terra Santa School Acco 
2.4 Schule mit Courage 
2.5 Bündnis für Toleranz und Zivilcourage 
3. Einzelprojekte 
3.1 Dr. Selig-Auerbach-Preis 
3.2 Gendenktafeln auf dem Schulgelände 
Isbert Feuerstein 
Gedenken an die Gefallenen Petriner des Ersten Weltkriegs 
3.3 Lesungen und Konzerte 
Zeitzeugenlesung mit Sally Perel 
"Ihr sollt die Wahrheit erben"- Eine Performance für sprechende Cellistin von Hermann Keller nach dem gleichnamigen Buch von Anita Lasker-Wallfisch 
3.4 Woche der Brüderlichkeit 
3.5 Stolpersteine 
4. Veröffentlichungen 
4.1 Das Petrinum unterm Hakenkreuz 
4.2 Der Unterricht ging pünktlich weiter 


1. Einleitung


Der Geschichte und der Tradition des Gymnasium Petrinum verpflichtet sein, muss immer auch heißen, sich den Anforderungen der Gegenwart an eine moderne sich entwickelnde Schule zu stellen und Neues zu wagen. Dazu gehört auch die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit weniger rühmlichen Ereignissen der deutschen Geschichte und der dunklen Seiten der Vergangenheit des Nationalsozialismus. Sowohl in regelmäßigen unterrichtlich verankerten Projekten als auch in Einzelprojekten, Initiativen und Veröffentlichungen werden wir dieser Verantwortung gegenüber Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gerecht. Der Dr. Selig S. Auerbach-Preis 2011 wurde an das Gymnasium Petrinum für seine langjährige inhaltliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus verliehen. Die List der Aktivitäten in Bezug auf die Aufarbeitung des Nationalsozialismus und der beiden Weltkriege ist zu lang, als dass sie hier in Gänze dargelegt werden könnte. Hervorzuheben ist, dass diese Aufarbeitung als Aufgabe und Verpflichtung der gesamten Schule verstanden und umgesetzt wird. Erinnern und Gedenken an das Schicksal der Recklinghäuser Jüdinnen und Juden gilt dabei als Querschnittsaufgabe und zentraler Auftrag pädagogischer Arbeit aller Fächer und Fachbereiche, damit Schüler Maßstäbe und Orientierung für die Gestaltung der eigenen Zukunft gewinnen können.


2. Regelmäßige Projekte


2.1 Curriculares Konzept der Erinnerungsarbeit


Modul 1: Stufe 6
Erinnerung an die sog. „Reichspogromnacht“ 1938 jährlich in der 6. Klasse als 4-stdg. Lehreinheit in der ersten Novemberwoche:
Einführung in die Geschichte des Nationalsozialismus und Geschichte des Antisemitismus
Eskalierung der Judenverfolgung von 1933-38
09. November 1938 in Deutschland und Recklinghausen
Angebote einer aktiven Erinnerungsarbeit: Besuch Stolpersteine, ehem. Synagoge, Skulpturen-Ensemble Finanzamt
Modul 2: Stufe 8
Erinnerung an den Holocaust jährlich in der 8. Klasse; Projekttage in Zusammenarbeit mit den Fachschaften Religion und Philosophie in der 8. Klasse, dabei Vorbereitung einer Schulveranstaltung am 27. Januar:
Einführung in die Geschichte des Holocaust nach der sog. Wannseekonferenz
Verfolgte Gruppen in deutschen Konzentrationslagern, Leben im KZ
Maschinerie des Tötens: 6,3 Millionen getöteter Juden
Angebote einer aktiven Gedenkarbeit: Musik, Gebet, Aufruf zum Engagement
Modul 3: Stufe 9
Zeitzeugenbegegnung jährlich in der 9. Klasse; Projekttag in Kooperation mit einer externen Organisation, Gespräch mit einer Zeitzeugin/einem Zeitzeugen
Voraussetzungen unseres Wissens über die Vergangenheit
Forschendes Lernen
Sensibilisierung für die Begegnung
Geeignete Reflexion und Nachbereitung
Modul 4: Gedenkstättenfahrt in der Gymnasialen Oberstufe nach Krakau/Auschwitz alle zwei Jahre für die Stufen Q1/Q2 in Kooperation mit dem Gesamteuropäischen Studierendewerk e.V. in Vlotho
Mehrtätige Vorbereitungsseminar
Besuch des ehemaligen KZ Auschwitz
Stadtführung und Erkundung in Krakau
Besuch der Recklinghäuser Partnerstadt Bytom


2.3 Israel-Austausch mit der Terra Santa School Acco


Seit 1999 besteht zwischen dem Gymnasium Petrinum und der Terra-Santa-School in Akko (Israel) eine Schulpartnerschaft. Nachdem es in den Jahren 1999 und 2000 zu einem ersten Schüleraustausch zwischen beiden Schulen gekommen war, ruhte bis zum Herbst 2007 die Partnerschaft aufgrund der kritischen innenpolitischen Lage in Israel. Unsere Partnerschule in Israel liegt in der Altstadt von Akko. Sie wird von arabischen und christlichen Schülerinnen und Schülern besucht. Die Leitung der Schule liegt in der Hand von Franziskanern. Mit dieser Partnerschaft leistet unsere Schule einen besonderen Beitrag im Rahmen der Städtepartnerschaft Akko-Recklinghausen. Im Oktober 2007 wurde die Partnerschaft mit dem Besuch einer Schülergruppe unserer Schule in Akko wieder aktiviert. Seitdem findet mindestens alle zwei Jahre ein Besuch unserer Schülerinnen und Schüler in Akko und das darauf folgende Jahr von israelischen Schülerinnen und Schülern in Recklinghausen statt. Im Rahmen des Austauschs mit einem Besuch in Israel und einem Rückbesuch in Recklinghausen werden die Schülerinnen und Schüler eingehend auf das Land und das immer noch komplizierte Verhältnis zwischen Deutschen und Israelis vorbereitet. Nicht nur bei dem regelmäßigen Besuch der Gedenkstätte Yad Vaschem gilt es nachzuforschen, zu fragen, Zusammenhänge zu erkennen, sich berühren zu lassen, auch Trauer und Schmerz zuzulassen. All dies soll den Schülerinnen und Schülern helfen, für ein Leben in gegenseitiger Achtung ohne Ausgrenzung und Gewalt einzutreten. Trotz personeller Veränderungen auf beiden Seiten in den letzten jahren ist der Austausch vital wie selten zuvor und die enge Partnerschaft mit der Terra-Santa-School in Acco stellt mittlerweile einen Eckpfeiler der Petriner Schulkultur.

 
2.4 Schule mit Courage


Seit März 2019 ist das gymnasium Petrinum Mitgleid im netzwerk „Schule ohne Rassismus-Schule mit Courage“ Um das Siegel des nationalen Schulnetzwerkes „Schule ohne Rassismus-Schule mit Courage“ zu erhalten, mussten erst einmal verschiedene Bedingungen erfüllt werden: mindestens 70% aller Menschen, die am Petrinum lernen und arbeiten, haben zunächst die Selbstverpflichtungserklärung unterschrieben, dass sie sich gegen jede Form von Diskriminierung wenden. Weitere Verpflichtungen sind, mindestens einmal im Jahr ein Projekt zum Thema durchzuführen sowie einen Paten zu finden, der das Engagement der Schule unterstützt. Dies ist im Falle des Petrinum der Ruder-Weltmeister Malte Jakschik, der als ehemaliger Petriner (Abitur 2012) gerne als Pate gegen Rassismus seine alte Schule unterstützt. Lebt er doch als Leistungssportler im Paradeboot des Deutschen Ruderverbandes täglich den Gedanken der sportlichen Fairness und der Werte, die für alle Petrinerinnen und Petriner von großer Bedeutung sind.

 
2.5 Bündnis für Toleranz und Zivilcourage


Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Am Gymnasium Petrinum wir nehmen die in Artikel 1 des Grundgesetzes verankerte Verpflichtung als moralischen Auftrag an. Wir treten ein für Werte wie Offenheit, Toleranz, Respekt und Zivilcourage. An Recklinghäuser Schulen werden mehr als 20 000 Schülerinnen und Schüler aus fast 100 Nationen unterrichtet. Wir sind stolz auf diese Vielfalt in unserer Stadt und werden uns dafür engagieren, dass das Petrinum und alle anderen Recklinghäuser Schulen ein Ort des sozialen Lernens, des gegenseitigen Respekts und der Toleranz bleiben. Vor diesem Hintergrund engagiert sich das Gymnasium Petrinum gemeinsam mit anderen Recklinghäuser Schulen im „Bündnisses für Toleranz und Zivilcourage“ auf. In Recklinghausen haben sich dem Bündnis seit dem Jahr 2000 die Stadt Recklinghausen, die Ratsfraktionen, das Kinder- und Jugendparlament, der Integrationsrat, die Ratskommission für Menschen mit Behinderung, das Stadtkomitee der Katholiken und die Evangelische Kirche, die Jüdische Kultusgemeinde, die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, die Gewerkschaften, die weiterführenden Schulen und weitere Verbände und Initiativen angeschlossen. Im Koordinationsrat der Stadt werden Aktivitäten vernetzt (Austausch von Informationen, Koordination, Dokumentation) und gemeinsame Initiativen besprochen.
Gemeinsam mit anderen Partnern engagierte sich das GymnasiumPetrinum zuletzt beispielsweise beim Friedensfest 2018 auf dem Kirchplatz der Propsteikirche St. Peter für Zivilcourage und gegen Diskriminierung. In Vorbereitung des Friedensfestes entstand unter der Regie der Petriner SV ein großes Banner unserer Schule, auf dem zahlreiche Schülerinnen und Schüler des Petrinum einen bunten Handabdruck hinterlassen haben: "High five" für Menschlichkeit, Vielfalt und eine bunte Gesellschaft. Gemeinsam mit den Produkten der anderen Recklinghäuser Schulen wurde das Banner beim Friedensfest ausgestellt als Zeichen und Flagge für Offenheit, Gastfreundlichkeit und ein gutes Miteinander in unserer Stadt.

 
3. Einzelprojekte


3.1 Dr. Selig-Auerbach-Preis


Der Dr. Selig S. Auerbach-Preis 2011 wurde an das Gymnasium Petrinum für seine langjährige inhaltliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus und für die Pflege einer Schulpartnerschaft in Israel verliehen.

 
3.2 Gedenktafeln auf dem Schulgelände


Isbert Feuerstein


Anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus am 27.01.2004 wurde auf dem Schulhof des Petrinum der Gedenkstein für Isbert Feuerstein enthüllt. Dieser Stein wurde von einer ehemaligen Schülerin, Sibylle Bergmann, geb. Böker, gefertigt nach einem Entwurf von Janet Daniel, Angelina Kraudelt, Joana Papageorgiou und Rayda Rafail, Schülerinnen der 10b (2003/2004), die dieses Projekt begleitet hat.
Der am 27. Januar 2004 enthüllte Gedenkstein am jetzigen Mensagebäude des Gymnasium Petrinum erinnert an den letzten jüdischen Schüler, der 1938 die Schule verlassen musste: Als Isbert Feuerstein (geb. 17.1.1924 in Herten) Ostern 1934 in der Sexta eingeschult wurde, waren es mit Hans Aris (Abitur 1935, 1939 mit der Familie emigriert nach Shanghai) und Walter Schönholz (emigriert mit der Familie nach Palästina 1937) noch drei. Als einzig verbliebener jüdischer Schüler ab Ostern 1937 litt Isbert unter den antisemitischen Maßnahmen des Regimes – so war er inzwischen vom Schwimmunterricht ausgeschlossen, da die Badeanstalt für Juden gesperrt war - und an der ideologisch geprägten Ausgrenzungsstrategie des nach der Amtsenthebung von Dr. Wilhelm Hülsen 1934 am Gymnasium Petrinum neu eingesetzten Schulleiters Wenner. Der setzte auch seine Lehrerschaft so massiv unter Druck, dass Isbert Feuerstein am 22. Juli 1938 das Gymnasium verließ. Am 20. Oktober 1938 verzeichnet das Einwohnermeldeamt seinen Umzug nach Köln.
Familie Feuerstein war zum Zeitpunkt der Einschulung von Herten nach Recklinghausen zur Herner Str. 7b umgezogen. Jakob Feuerstein (geb. 5.2.1888) und Frau Berta (geb. 1893), geb. Glattstein stammten aus Perehinsko im Dolina Distrikt der Provinz Stanislawow in Galizien. Dort schrieb Yaakov Foiershtein seinen Namen in Jiddisch, der aus dem Mittelhochdeutschen des 11. Jh. hervorgegangenen Umgangssprache in den jüdisch geprägten Kleinstädten Osteuropas. Nach dem Zusammenbruch der Vielvölkermonarchie Österreich-Ungarn 1918 war Galizien Teil des neu entstandenen Polen geworden.
Das Ehepaar hatte 1920 zunächst ein kleines „Konfektionsgeschäft“ an der Marktstraße 18 in Herten eröffnet, das 1930-32 an drei Standorten in der Ewaldstraße 18, 25 und 6, ab 1933 wieder an der Marktstr. 18 und zuletzt 1.3.1934 bis 9.4.1935 wieder an der Ewaldstr. 11 in Herten gemeldet war. In Recklinghausen eröffneten sie zunächst ein kleines Geschäft an der Steinstraße 4 im Schuhgeschäft Scheffer, ehe das Geschäft zur Herner Str. 7b verlegt wurde.
In der Pogromnacht wurde das Geschäft zertrümmert, „die Puppen und Stoffe lagen auf der Straße“ und auch in der Privatwohnung sahen Passanten „zerstörte Fensterscheiben“. In den nächsten Tagen wurde es am 10.12.1938 „von Amts wegen gelöscht“ und wird deshalb am 12.12.1938 unter dem RZ-Titel „Kein Judenladen mehr!“ letztmalig erwähnt.
Danach waren die wirtschaftliche Existenz der Familie und die schulische Zukunft der Söhne – Bruder Helmut (geb. 1928) hatte als Folge der Gesetzgebung nach dem Pogrom die Ober-Realschule verlassen müssen - zerstört. Zudem wurde die Familie nun von der deutschen Ausweisungsaktion von Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit erfasst, die im Oktober 1938 begonnen hat.Die Abmeldung der Eltern und des 11jährigen Helmut „nach Polen“ wird am 29. Juli 1939 amtlich registriert. Vermutlich zog Isbert mit, denn die Listen des Lagers Zbaszyn (Bentschen) im deutsch-polnischen Grenzgebiet verzeichnen die Brüder unter den Nummern 656 und 657.
Mit dem militärischen Überfall auf Polen am 1.9.1939 überzogen auch die Terrorgruppen des NS-Regimes das Land. Zu den ersten Opfern gehörte auch die nach Warschau verzogene Familie Feuerstein; der östliche Teil Polens mit Galizien war von sowjetischen Truppen besetzt. „The Central Database of Shoah Victims` Names“, das Opfer-Verzeichnis des Jerusalemer Gedenkzentrums Yad Vashem verzeichnet Berta, Jakob, Isbert und Helmut Feuerstein als Opfer des Holocaust. Nur für Frau Feuerstein können Todesort und -zeitpunkt angegeben werden: 1940 in Warschau.

 
Gedenken an die gefallenen Petriner des Ersten Weltkriegs


Die beiden Weltkriege hinterließen tiefe Spuren in der Petriner Schulgeschichte. Bereits kurz nach Kriegsbeginn 1914 traten 51 Primaner und Sekundaner des Gymnasium Petrinum in das Heer ein, viele als Freiwillige. Insgesamt nahmen mehr als 150 Schüler am Ersten Weltkrieg teil. 28 dieser Schüler fielen im Kriegseinsatz, ebenso wie der Studienassessor Franz Hennes.
Die Gedenktafeln für die Toten des Ersten Weltkrieges zeigen die völlig neuartige Vernichtungsdimension dieses in die Zivilgesellschaft einschneidenden Ereignisses: In diesem ersten industriell geführten „modernen“ Massenkrieg starben weltweit 17 Millionen Menschen – und von den über 13 Millionen deutschen Soldaten fanden annähernd 2 Millionen den Tod auf den Schlachtfeldern. Zahllose Denkmäler in ganz Europa und in jedem Ort und in jeder Stadt in Deutschland spiegeln das in allen kriegsbeteiligten Nationen gleichermaßen praktizierte Totengedenken wie auch die kollektive Traumatisierung eines ganzen Kontinents durch die Schrecknisse dieses Krieges.
Zum Gedenken an diese Gefallenen wurde am 28.09.1929 in der Halle im 1. Stockwerk des heutigen Altbaus des Petrinum im Rahmen der 500-Jahr-Feier der Schule ein Gefallenendenkmal eingeweiht, die mittlere Haupttafel von heute drei Gefallenentafeln. Anwesend beim Festakt waren damals die Stadthonoratioren und Vertreter der katholischen, evangelischen und israelitischen Gemeinde. Die Kosten wurden durch eine Sammlung bei ehemaligen Abiturienten, bei Lehrer und Schülerschaft gedeckt. In goldenen Buchstaben auf weißen Marmor mit einer Zierumrandung aus schwarzem Marmor führt die Gedenktafel in den Maßen 195cmx85cm die Namen der gefallenen Petriner Schüler und Lehrer auf. Unter dem Relief eines mit Eichenlaub verzierten Stahlhelms und der Wendung „Für das Vaterland starben“ werden von oben nach unten zunächst Studienassessor Franz Hennes, dann die Oberprimaner, Unterprimaner, Obersekundaner und Untersekundaner mit vollem Namen und Todesdatum benannt.
In der Jubiläumsfestschrift von 1929 äußerst sich der damalige Schulleiter Dr. Paul Verres zum Sinn und Zweck der Gedenktafel, auf der die Namen der 29 Gefallenen mahnend vor Augen stehen: „Noch späteren Geschlechtern werden sie Zeugnis ablegen von der freudigen Opferwilligkeit, mit der ihre Träger als die Not des Vaterlandes sie rief, für dessen Ehre und Rettung ihr junges Leben dahingaben.“
In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Funktion des Gefallenendenkmals instrumentalisiert und das Denkmal selbst erweitert. 1937 wurde die Haupttafel nach einem Beschluss der Lehrerkonferenz vom 30.09.1937 um einen Wandspruch ergänzt: „Wissen weckt Wächter auf dem Land“. Die vorhandenen Quellen geben keine Auskunft darüber, wann er wieder entfernt worden ist. Dies gilt ebenso für ein Eisernes Kreuz, das an der Unterseite der mittleren Haupttafel angebracht war und dessen Bohrungen noch zu erkennen sind. Die ursprüngliche Haupttafel wurde im Jahr 1939 um zwei Nebentafeln rechts und links mit den Namen der weiteren 44 im Ersten Weltkrieg gefallenen ehemaligen Schüler des Petrinum ergänzt. Dabei wurde der 1916 vor Verdun gefallenen jüdische Abiturient Fritz Cohen (Abiturientia 1914) bewusst verschwiegen. Die ergänzten Tafeln sind in den Maßen 140cmx85cm etwas kleiner als die ursprüngliche Mitteltafel, die Schrift ist in schlichtem Grau gehalten. Aufgeführt sind die Gefallen, chronologisch nach ihrem Todesjahr geordnet von links oben nach rechts unten, mit Ihren vollen Namen, jedoch ohne genaues Todesdatum.
Das Foyer im ersten Stockwerk gewann dabei, da es noch keine Aula in der Schule gab, als Versammlungsort und sogenannte Ehrenhalle an Bedeutung, in der alle wichtigen schulischen Veranstaltungen stattfanden. Im Zuge der nationalsozialistischen Gleichschaltung standen bei feierlichen Anlässen zwei Hitlerjungen in Uniform mit der schuleigenen Hakenkreuzfahne rechts und links neben den Tafeln. Die auf den Tafeln genannten Gefallenen wurden als Idole und Vorbilder für Treue, Opferwilligkeit und Heldentum glorifiziert.
Die Schulgemeinschaft des Gymnasium Petrinum distanziert sich von mit Waffen und Gewalt ausgetragenen Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen und innerhalb von Staaten und Nationen. Die dabei stattfindenden Gewalthandlungen widersprechen unserem von einem humanistischen Menschenbild getragenen Wertekanon, indem die stattfindenden Gewalthandlungen gezielt die körperliche Unversehrtheit des Individuums angreifen. Jedweder Verherrlichung oder ideologischer Überhöhung einer früheren Kriegsteilnahme begegnen wir mit Ablehnung, betrauern aber dennoch jedes einzelne Mitglied der Schulgemeinschaft, das in kriegerischer Auseinandersetzung den Tod fand und damit unfassbares menschliches Leid über Familien und Freunde brachte. Die hier installierten Erinnerungstafeln mahnen uns bis in die Gegenwart, dass unsere Hoffnung einer Versöhnung unter den Menschen gilt. Es liegt in unserer Verantwortung, fortwährenden Frieden in der ganzen Welt zu stiften. Dieser Verantwortung werden wir durch zwei erläuterende Tafeln, die das Gefallenengedenken historisch kontextualisieren und gegenwartsbezogen interpretieren, gerecht, welche 90 Jahre nach der Einweihung des Gefallenenmals im Herbst 2019 angebracht wurden.

 
3.3 Lesungen und Konzerte


In regelmäßigen Kooperationen mit außerschulischen Partnern bieten in wir in unterschiedlichen Veranstaltungsformaten Anlässe zur Auseinandersetzung mit der Geschichte als Mahnung für eine friedvolle Zukunft. Beispielhaft seien zwei Veranstaltungen aus der jüngeren Vergangenheit im Folgenden benannt.
Zeitzeugenlesung mit Sally Perel
„Ihr habt keine Schuld an dem, was geschehen ist. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nicht verhindert, dass es wieder geschieht. Ihr könnt nicht mehr behaupten, nichts gewusst zu haben.“ So verabschiedete sich Sally Perel im Rahmen seiner Lesung im Jahr 2017 aus der Petriner Schulaula. Angestoßen durch diese hochemotionale Veranstaltung, die gleichermaßen bewegte und wachrüttelte, ist die regelmäßige Begegnung mit Zeit- und Zweitzeugen seitdem fester Bestandteil des curricularen Konzepts der Erinnerungsarbeit in der Jahrgangsstufe 9 am Petrinum .
"Ihr sollt die Wahrheit erben"- Eine Performance für sprechende Cellistin von Hermann Keller nach dem gleichnamigen Buch von Anita Lasker-Wallfisch
Die Cellistin Anita Lasker-Wallfisch war Mitglied des „Mädchenorchesters von Auschwitz“. Zusammen mit ihrer Schwester überlebte sie als junges Mädchen das Vernichtungslager Auschwitz und auch die anschließende Deportation nach Bergen-Belsen.
Unter dem Titel „Ihr sollt die Wahrheit erben“ veröffentlichte Anita Lasker-Wallfisch 1997 ihre erschütternde Autobiografie. Der Berliner Komponist Hermann Keller (geb. 1945) hat auf der Grundlage des Buchs eine Collage aus Musik- und Textpassagen erstellt. So werden der Leidensweg des jungen Mädchens von der Verhaftung bis zur Befreiung des Lagers lebendig, aber auch ihre Gefühle, ihr Stolz, Mut und Überlebenswille. In der Cellistin Christiane Conradt, langjähriges Mitglied der Bochumer Symphoniker und Spezialistin für zeitgenössische Cello-Musik, hat das Werk eine kongeniale Interpretin gefunden, das von ihr am 14. Februar 2018 in der Petriner Gymnasialkirche zur dargeboten wurde.

 
3.4 Woche der Brüderlichkeit


Die Woche der Brüderlichkeit ist eine seit 1952 jährlich im März stattfindende Veranstaltung für die christlich-jüdische Zusammenarbeit in Deutschland. Im Jahr 2018 fand die bundesweite Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit in Recklinghausen statt. Im Rahmen des Aktionsjahres 2018 engagierte sich das Petrinum mit zahlreichen Projekten in Kooperation mit der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Recklinghausen für eine lebendige Erinnerungs-und Gedenkkultur. Beispielhaft sei in diesem Kontext das folgenden Unterrichtsprojekt beschrieben.

 
Zwischen Davidstern und Hakenkreuz – Unterrichtsprojekt zu Biographien jüdischer Familien


Zur Woche der Brüderlichkeit 2018 haben sich zwei Oberstufenkurse des Gymnasium Petrinum in Recklinghausen auf Spurensuche begeben und in den Originalakten aus der Zeit des Nationalsozialismus in den Beständen des historischen Schularchivs und des Stadtarchivs Schicksale deportierter jüdischer Familien Recklinghausens und jüdischer Schüler des Petrinum erforscht. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit wurden in einer multimedialen Plakatausstellung mit dem Titel „Spurensuche“ präsentiert, in der jeder Familie ein Poster gewidmet wurde, das ihr Deportationsschicksal nachzeichnet.
Dieses Projekt ist eingebettet in eine lebendige Erinnerungskultur am Petrinum. So wurde in zwei Aufsatzsammlungen von 2001 und 2016 die Schulgeschichte von 1933 bis 1945 aufgearbeitet, durch unsere Partnerschaft mit der Terra Santa School in Acco regen wir zu einem lebendigen interkulturellen Austausch deutscher und israelischer Jugendlicher an und setzen uns als Preisträger des Dr.-Selig-Auerbach-Preises 2011 mit diversen Projekten alljährlich für eine zeitgemäße Erinnerungskultur ein. Eine Schülerin bestätigt dies aufgrund ihrer Erfahrungen im aktuellen Projekt „Spurensuche“: „Wir lernen die Schicksale ganzer Familien kennen und die Schicksale ehemaliger Schüler unsere Schule – ganz nah und ungefiltert über die Arbeit mit den historischen Originalakten. So wird Geschichte, so werden die Personen und Schicksale für uns wirklich greifbar.“

Audio Beitrag zur Geschichte der Familie Abrhamsohn im Nationalsozialiismus

 Audiobeitrag zur Geschichte der Familie Abrahamsohn in Nationalsozialismus


3.5 Stolpersteine


Zahlreiche Petriner Schüler kamen in der Zeit des Nationalsozialismus ums Leben. Das Petrinum unterstützt mit seinem historischen Archiv die Aufarbeitung der Schicksale der Opfer dieser Opfer. Zuletzt wurde beispielsweise im September 2018 am Westenhellweg 91/93 im Herzen der Dortmunder Innenstadt im Beisein des Oberbürgermeisters Ullrich Sierau, des Historikers Dr. Frank Ahland und des Petriner Schulleiters Michael Rembiak ein Stolperstein für den ehemaligen Petriner Schüler Dr. med. Hugo Cohen verlegt. Im Vorfeld hatte sich Ahland auf die biographischen Spuren Hugo Cohens begeben und dazu auch im historischen Archiv des Petrinum geforscht.
Hugo Cohen, am 03. März 1876 als Sohn der jüdischen Kaufleute Simon und Rosalie Cohen geboren in Castrop geboren, lebte ab 1893 in Recklinghausen und besuchte das Petrinum, an dem er 1897 sein Abitur ablegte. Nach Studien in Freiburg, Heidelberg, Göttingen und München ließ er sich 1906 als Arzt in Dortmund nieder. Im Jahre 1936 wurde er aufgrund seiner Homosexualität verhaftet und verurteilt, woraufhin ihn die Ärztekammer Westfalen ausschloss und er seine Zulassung als Arzt verlor. In der Dortmunder Tagespresse wurde er damals fälschlich mit vollem Namen als „Jugendverführer” denunziert. Nach dem Judenpogrom vom 9.11.1938 kurzzeitig ins KZ verschleppt, versuchte Hugo Cohen auszuwandern, was ihm jedoch nicht gelang. 1942 wurde der 63-jährige Hugo Cohen als Jude in das Ghetto von Riga verschleppt und dort im März 1942 ermordet.

 
4. Veröffentlichungen


4.1 Das Petrinum unterm Hakenkreuz


Im Jahr 2001 erschien das Buch "Das Petrinum unterm Hakenkreuz. Zur Geschichte des Gymnasium Petrinum in Recklinghausen in der Zeit von 1933 bis 1945. Erinnerungen, Nachforschungen, Auseinandersetzungen, Brücken in die Zukunft." Herausgegeben von Ludger Linneborn, Georg Möllers und Heribert Seifert (192 Seiten, zahlreiche Abbildungen).
Nach der Machtergreifung der Nationalsizialisten machte der Wandel auch vor dem Petrinum nicht Halt, doch er vollzog sich schleichend. Zuerst glaubte mancher, das humanistische Gymnasium der Stadt sei auch nach 1933 ein pädagogischer Schutzraum gegen die Brutalisierung der Politik. Ein verhängnisvoller Irrtum: Auch das Gymnasium Petrinum, die traditionsreichste Schule Recklinghausens, wird »gleichgeschaltet«: der Schulleiter wird abgesetzt, der Terror gegen Andersdenkende beginnt, die jüdischen Schüler werden von der Schule gejagt. Unter Lehrern und Schülern nutzen Opportunisten ihre Chancen, während andere sich mutig offen oder verdeckt widersetzen. Dann aber kommt das Ende: Kinderlandverschickung, Krieg, Zerstörung und Tod.
Schulgeschichte als ein Kapitel der Stadtgeschichte, die uns mitten in den Alltag unter der NS-Herrschaft führt: Hier entsteht sie in einer Fülle von zeitgenössischen Dokumenten, in den Erinnerungen von Augenzeugen und in den manchmal detektivischen Recherchen von Lehrern und Schülern. Ein spannendes Stück Aufklärung über dunkle Jahre, das zu eigenen Entdeckungen einlädt.
Nachzulesen ist aber auch, wie das Gymnasium Petrinum in den letzten Jahren versucht hat, mit Aktionen »wider das Vergessen« Brücken in die Zukunft zu bauen.

 
4.2 Der Unterricht ging pünktlich weiter

 
Im Jahr 2016 erschien eine völlig überarbeitete Neuauflage mit zahlreichen neuen Texten und Schicksalen: "Der Unterricht ging pünktlich weiter. Zur Geschichte des Gymnasium Petrinum in Recklinghausen in der Zeit von 1933–1945." Herausgegeben von Ludger Linneborn, Georg Möllers und Heribert Seifert (296 Seiten, zahlreiche Abbildungen).
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten machte der Wandel auch vor dem Petrinum nicht Halt, doch er vollzog sich schleichend. Zuerst glaubte mancher, das humanistische Gymnasium der Stadt sei auch nach 1933 ein pädagogischer Schutzraum gegen die Brutalisierung der Politik. Ein verhängnisvoller Irrtum: Auch das Gymnasium Petrinum, die traditionsreichste Schule Recklinghausens wird „gleichgeschaltet“. Wir sehen unter Lehrern und Schülern Ideologen und Opportunisten, die ihre Chance nutzen, während andere sich mutig widersetzen oder der geforderten Anpassung hinhaltend ausweichen. Der Schulleiter wird abgesetzt, die Symbole und Rituale des Regimes werden in den Alltag integriert. Die jüdischen Schüler werden von der Schule verjagt. Der Weg von der Schulbank ins KZ ist kurz für den, der offenen Widerstand leistet. Am Ende steht der Krieg mit Bombenterror, „Kinderlandverschickung“ der Schüler und der Totenliste gefallener Petriner.
Schulgeschichte wird hier als ein Kapitel der Zeitgeschichte greifbar, das uns mitten in den Alltag unter der NS-Herrschaft führt. Wir erleben in Augenzeugenberichten und in Archivrecherchen, wie eine Schule Normalität zu behaupten versucht, während ringsum der Ausnahmezustand herrscht. Überraschende Entdeckungen im Archivmaterial zeichnen das Bild schärfer, manchmal auch bizarr. Ein Buch der Erinnerung an eine Zeit der Bewährung, der nicht jeder standhielt. Zugleich aber auch ein Buch, das den Versuch einer Schule zeigt, in der pädagogischen Arbeit aus einer dunklen Geschichte Brücken in die Zukunft zu bauen. Kein Schlussstein, sondern eine Anstiftung des Lesers zu eigenem Urteil.
(...) Die drei Herausgeber und Autoren Ludger Linneborn, Georg Möllers und Heribert Seifert, die jeweils Jahrzehnte am Petrinum unterrichtet haben, verstehen ihre Arbeit als Lesebuch zur Geschichte ihrer Schule in der NS-Zeit. Augenzeugenberichte, Archivunterlagen, gründlich recherchierte Beiträge eröffnen auf rund 300 Seiten die großartige Chance, sich ein Bild von den teils subtilen Mechanismen des braunen Terrors zu machen. Die Rückschau endet nicht 1945 – Nachkriegszeit, Entnazifizierung und auch die Schwierigkeiten des Erinnerns werden thematisiert. Viele Seiten zeigen auch auf, wie gegen das Vergessen gearbeitet wird, mit Brücken in die Zukunft. (...)" Wolfgang Kleideiter, Westfälische Nachrichten, 2. September 2016



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