Aktuelles Recklinghausen
„Die Kunstausstellung der Ruhrfestspiele blickt auf eine über 70-jährige Geschichte zurück und hat einen bedeutenden und festen Platz im jährlichen Ausstellungskalender der Stadt Recklinghausen. Ich freue mich sehr, dass wir in diesem Jahr die Künstlerin Flo Kasearu begrüßen dürfen“, sagte Bürgermeister Christoph Tesche. „Die begleitende Ausstellung war von Anfang an als eine Ergänzung der Ruhrfestspiele durch die bildende Kunst gedacht. Heute können wir sagen: Dieses Ziel haben wir erfolgreich erreicht.“
Flo Kasearus bisher umfangreichstes Projekt ist „Flo Kasearu’s House Museum“ in Tallinn, ein Museum, das ihr selbst gewidmet ist. Seit mehr als einem Jahrzehnt bewohnt sie diesen Ort und arbeitet als Direktorin, Aufsicht und Museumsführerin. Dieses Werk steht programmatisch für ihre künstlerische Praxis, die die Beziehung zwischen Ernsthaftigkeit und Humor, Strenge und Witz seziert und erforscht, verhandelt und feiert. Für die Kunsthalle inszeniert Flo Kasearu nun ihre eigene Retrospektive als bisher jüngste Künstlerin einer Ruhrfestpielausstellung. Mit bestehenden und für Recklinghausen neu produzierten Werken übernimmt Flo Kasearu die drei Etagen des 1.000 Quadratmeter großen, ehemaligen Bunkers, der seit 1950 die Kunsthalle beherbergt. So kreiert die Künstlerin eine Choreografie von Räumen, die durch die verschiedenen Aspekte ihres Werks führen. Vom Erdgeschoss aufsteigend bewegt sich die Ausstellung vom Thema Arbeit und Freizeit über den Komplex des Häuslichen als Bühne der Macht bis hin zum obersten Stockwerk, wo sich Szenarien weltlicher und persönlicher Ängste zu vermischen scheinen.
Einen besonderen Auftritt als deutsche Erstaufführung hat die „Disorder Patrol“: Eine in absurden Uniformen agierende und mit Gymnastikbändern ausgestattete Aufsichtskolonne ist zu Fuß und zu Pferd zwischen Kunsthalle, Innenstadt und Ruhrfestspielhaus unterwegs. „Ich freue mich sehr über die Ausstellung von Flo Kasearu zu den diesjährigen Festspielen“, ergänzte Olaf Kröck, Intendant der Ruhrfestspiele. „Sie hat viel Humor und Ernsthaftigkeit zugleich, sie denkt sowohl in den Räumen der Kunst als auch deren Darstellung. Ihre ‚Disorder Patrol‘ ist vielleicht der raffinierteste künstlerische Kommentar auf unsere Gegenwart: Während totalitäre Machthaber Kriege anzetteln und allenthalben zum Teil durch das Schüren von Angst antidemokratische Kräfte nach Recht und Ordnung rufen, schickt die estnische Künstlerin eine Patrouille in die Stadt, die für mehr Unordnung sorgen soll.“
Im Erdgeschoss öffnet der „Oma Shop“ erstmals einen Teil der Kunsthalle zur Straße hin. Eingerahmt in ein performatives Setting spiegelt das Werk sowohl die postsowjetische Geschichte Estlands als auch seine kapitalistische Realität wider. Kunsthallen-Direktor und Leiter der städtischen Museen, Dr. Nico Anklam, betonte: „Mit Flo Kasearus erster Einzelausstellung in Deutschland bei uns an der Kunsthalle bespielt eine junge Künstlerin das ganze Haus, baut neue Räume und öffnet das Gebäude ganz unerwartet zur Straße hin. Wir sehen schon jeden Tag die Recklinghäuserinnen und Recklinghäuser interessiert vom Bahnhof hineinblicken. Flo Kasearus Werke verbinden Ruhrfestspiele und die Kunsthalle thematisch durch besondere performative Anteile, wie die ‚Disorder Patrol‘ oder den ‚Oma Shop‘. Darüber hinaus ist bei dieser Künstlerin aus dem Baltikum der Krieg in der Ukraine in vielen ihrer Arbeiten besonders spürbar. Also eine sehr aktuelle Schau, obwohl eine Retrospektive. Umso überraschender, wie leicht und zugänglich, unterhaltsam und humorvoll ihre Arbeiten sind. Dass Flo Kasearu diese Brücke schlagen kann, zeigt, was für eine herausragende Künstlerin sie ist.“
Die universellen Ideen in „Flo’s Retrospective“ – sei es die Offenlegung und Untergrabung von Machtstrukturen oder die humorvolle Verarbeitung dringlicher Themen – haben für die Künstlerin aus dem Baltikum angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine eine unerwartete Aktualität erhalten. Dies schwingt besonders in ihrer Arbeit „Uprising“ (2015) mit, die im obersten Stockwerk der Kunsthalle zu sehen ist. Aus dem Metalldach ihres Hauses hergestellt, sind diese Objekte Papierfliegern ähnlich, dabei jedoch vielmehr bedrohlich, als spielerisch leicht. Als solche verhandeln sie poetisch, was es bedeutet, wenn russische Flugzeuge in den estnischen Luftraum eindringen. Basierend auf einem realen Szenario aus dem Jahr 2015 erscheint dies rückblickend wie ein Vorspiel dessen, was der Welt im Frühjahr 2022 widerfährt.
Flo Kasearu ist eine der herausragenden Künstler*innen des Baltikums ihrer Generation, deren Werke bereits vielfach mit Preisen ausgezeichnet wurden. Europäische und internationale Museen und Festivals zeigen ihre Arbeiten. Geboren 1985 in Pärnu, Estland, studierte sie an den Kunstakademien in Tallinn und Berlin.
Die Ausstellungseröffnung findet am Samstag, 30. April, um 17 Uhr in den Räumlichkeiten der Kunsthalle Recklinghausen, Große-Perdekamp-Straße 25-27, statt. Interessierte Besucher*innen haben ab diesem Zeitpunkt bis einschließlich 7. August 2022 die Gelegenheit, die Werkschau zu betrachten. Während des Ausstellungszeitraums findet jeden Sonntag eine öffentliche Führung um 11 Uhr statt.
Die Ausstellung wird von einem Performance-Programm begleitet: Während der Ruhrfestspiele zwischen dem 3. Mai und dem 12. Juni an jedem Wochenende Samstag und Sonntag zu jeweils unterschiedlichen Zeiten. Bis Ausstellungsende, 7. August, wird es vier weitere Termine geben. Weitere Informationen gibt es unter: www.kunsthalle-recklinghausen.de.
Eine Eintrittskarte zu Vorstellungen der Ruhrfestspiele am gleichen Tag berechtigt zum kostenlosen Besuch der Kunsthalle. Davon unabhängig können Karten ausschließlich vor Ort in der Kunsthalle erworben werden.
Die Kunsthalle Recklinghausen hat dienstags bis sonntags sowie an Feiertagen von 11 bis 18 Uhr geöffnet.
Anhang
Pressefoto: Sie erhielten einen ersten Einblick in Kunstausstellung zu den Ruhrfestspielen von Flo Kasearu (2. v. l.): Bürgermeister Christoph Tesche, Museumsdirektor Dr. Nico Anklam und Ruhrfestspiel-Intendant Olaf Kröck (v.r.n.l.). Foto: Stadt RE