3.05 Deportation und Massenmord am Beispiel einer Recklinghäuser Familie | Stadt Recklinghausen

3.05 Deportation und Massenmord am Beispiel einer Recklinghäuser Familie

Als „Poahlbürger“, d. h. als alteingesessene Familien, galt ein Großteil der jüdischen Bewohner der Stadt. Zu ihnen gehörten die Nachfahren der Eheleute Rosa (1847 - 1913) und Marcus Markus (1846 -1910), die beide auf dem Jüdischen Friedhof begraben waren. Familienmitglieder hatten im Weltkrieg für „Volk und Vaterland“ gekämpft und standen wie alle Kriegsteilnehmer, zumal wenn sie wie z. B. Robert Markus mit Orden ausgezeichnet worden waren, in hohem Ansehen. Die Geschwister Alex (geb. 1876), Felix (1880) und Robert (1886) Markus betrieben mit ihren Ehefrauen Obst- und Gemüsegeschäfte in der Innenstadt, in Süd und auf dem Wochenmarkt. Dabei wurden sie seit 1935 zunehmend Repressalien ausgesetzt. So prangerte die „National-Zeitung“ am 31.07.1935 öffentlich die Besitzerin eines Kaffeegeschäfts an, beim „jüdischen Gemüsehändler Markus während des Wochenmarktes, trotzdem [!] zu beiden Seiten des Judenstandes andere arische Händler standen“ eingekauft zu haben. Wegen dieses „schamlosen Verhaltens“, so triumphierte die NS-Gazette, sei sie von einer ihrer Kundinnen zur Rede gestellt worden, die in „eindeutiger Form“ mitteilte, „dass sie in Zukunft nicht mehr bei einer Firma kaufen werde, die ihr Geld zum Juden trage.“

Trotz solcher Erfahrungen dachten nur wenige Familienmitglieder daran, ihre Heimatstadt zu verlassen. Sie hielten durch, aber: „Unser Markt ist „judenfrei!“ (RZ 28.10.1938) - der Pressetitel verkündete das Ende des Marktstandes; kurz darauf kam auch das gewaltsame Ende der Geschäfte an der Steinstraße 12 und der Bochumer Str. 111 als Folge der Reichspogromnacht.

Am 09./10.11.1938 wurde das kleine Geschäft, das Robert und Ehefrau Selma (geb. 1891) an der Steinstraße 12 führten, überfallen und zerstört. Als Robert Markus mit seinen Kriegsauszeichnungen den eindringenden SA-Leuten entgegentrat, wurden sie auf den Boden geworfen und zertreten. Ihre wirtschaftliche Existenz war zerstört, ihre Würde mit Füßen getreten. 1941 mussten die Eheleute mit ihren Kindern Ilse (geb. 1927) und Ruth (geb. 1929) auch ihre Wohnung an der Steinstraße verlassen. Sie hausten ab jetzt in einem Zimmer an der Kellerstraße 1, einem der fünf „Judenhäuser“. Die Deportationen von insgesamt 95 Erwachsenen und 10 Kindern erfolgten am 24. Januar 1942 auf offenen Lastwagen. In der alten Ausstellungshalle am Wildenburgplatz in Gelsenkirchen mussten sie mehrere Tage aushalten, bis die Deportationstransporte der westfälischen Juden zusammengestellt worden waren. Im Transport am 27.01.1942 ab Dortmund befanden sich auch Selma und Robert Markus mit ihren beiden Kindern sowie Roberts Brüder Alex und Felix mit ihren Ehefrauen und jeweils einem Kind. In völlig verschmutzten, unbeheizten Personenzügen ging es ohne Verpflegung und Getränken auf eine fünftägige Reise ins Ghetto Riga, der Hauptstadt des besetzten Lettland. Die Kälte führte bei vielen Menschen zu Erfrierungen. Der Gepäckwagen mit den sorgfältig gepackten letzten Habseligkeiten wurde bereits in Ostpreußen abgekoppelt.

Insgesamt wurden etwa 17000 „Reichsjuden“ in Häuser des verkleinerten ehemaligen Ghettos der lettischen Juden verbracht: „Wir dachten, der Schnee ist schwarz“, erinnerte sich später Martha Markus (geb. 1911), Tochter von Julia und Felix Markus, an den ersten Eindruck vom Ghetto. Was sie sahen, waren die blutigen Spuren des Massakers an den etwa 28000 vormaligen Bewohnern im November 1941.

Der Aufhebungsbefehl gegen alle Ghettos durch Himmler am 21. Juni 1942 führte im November 1943 auch zur „Liquidierung“ des „Reichsjudenghettos“ Riga. Am 2. November 1942 wurden alle Kinder bis zwölf Jahren, dazu ältere und schwächere Menschen bei -32 Grad Kälte in Güterwaggons aus dem Ghetto nach Auschwitz deportiert: „Die Schreie der Frauen und Kinder klangen schauerlich, dazwischen das Brüllen und Schlagen der SS.“ Ein Teil der Ghettobewohner war inzwischen in das benachbarte KZ Kaiserwald verbracht worden.

Martha Markus überlebte als einziges der deportierten Familienmitglieder den Holocaust. Die Überlebende von Ghetto und Konzentrationslagern gehörte 1945 mit ihrem Mann Ludwig de Vries zu den Wiederbegründern der jüdischen Kultusgemeinde in Recklinghausen.

[Vgl. 3.5 Deportation und Massenmord am Beispiel einer Recklinghäuser Familie (Steinstr. 12), in: Geck, Möllers, Pohl, "Wo du gehst und stehst…", Stätten der Herrschaft, der Verfolgung und des Widerstandes in Recklinghausen 1933 bis 1945, Recklinghausen 2002, S. 125f;
Vgl. Möllers/Pohl, Abgemeldet nach „unbekannt“ 1942. Die Deportation der Juden aus dem Vest Recklinghausen nach Riga, Essen 2013]

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