Gedenktag zur Reichspogromnacht am 9. November 1938 (Auszeichnung mit dem Selig-Auerbach-Preis 2013)
Veranstaltungstag: 9. November 2012
Im Mittelpunkt des Gedenktages standen drei Ausstellungen, die von Schülern der DBS mit ihren Lehrern bzw. mit einem AG-Leiter entwickelt worden waren. Die Ausstellungen sind noch in der DBS vorhanden. Deshalb beschreiben wir sie in der Gegenwartsform.
1) Die Fotoausstellung hat das Ziel zu zeigen, dass die Nazi Diktatur vor unserer eigenen Haustür genauso alltägliche Realität war wie im gesamten Deutschland. Sie wird eingeleitet durch eine Übersichtsdarstellung zu dem Vorwand für die Pogromnacht (dem Attentat in Paris) und beendet durch ein Beispiel für NS-Propaganda in der Recklinghäuser Zeitung. Sie zeigt auf vielen mit schwarzem Samt ausgekleideten Schautafeln bekannte Orte in der Altstadt bzw. Altstadtnähe Recklinghausens zum einen so, wie wir sie kennen und zum anderen so, wie sie in der Zeit des Nationalsozialismus aussahen.
Gezeigt werden sowohl die in der Pogromnacht abgebrannte und später geschliffene Synagoge als auch die heutige, die jüdische Schule und die Stelle in der Steinstraße 12, wo die Familie Markus ihren Obst- und Gemüseladen hatte. Erläutert wird hier das Schicksal von Robert und Martha Markus. Zu sehen sind zudem Rathaus (1933 mit Hakenkreuzfahnen behängt) und die Breite Straße, in der eine Alltagsszene vor den gehissten Hakenkreuzflaggen zu sehen ist. Die Paulusstraße und das Polizeipräsidium runden die Fotoausstellung ab.
Ergänzt wurde sie durch ein von Schülern durchgeführtes und verschriftlichtes Interview mit dem Zeitzeugen Joseph L., der insbesondere die Pogromnacht aber auch die Zeit des NS insgesamt aus seiner Sicht schilderte. Er stellte dar, wie die Judenausgrenzung zur „Normalität“ wurde und warum er in der HJ war. Nicht unerheblich war dabei, dass er damals so alt war, wie die ihn interviewenden Schüler heute.
Für diese Ausstellung haben Schüler intensiv im Stadtarchiv gearbeitet, deren Leiter und Mitarbeiter eine große Hilfe waren.
2) Die Ausstellung im Bunker der DBS
Die zweite Ausstellung befindet sich im Bunker der DBS. Sie stellt nicht Recklinghausen ins Zentrum, sondern ermöglicht einen emotionalen Zugang zur Pogromnacht und zur Shoah. Zu diesem Zweck wurden vier Räume künstlerisch gestaltet und chronologisch geordnet.
Der erste Raum trägt den Titel „Vorgeschichte“ und zeigt im Wesentlichen eine nachgestellte, aber auch bewusst verfremdete Schulsituation zur Zeit des Nationalsozialismus. Auf einer Zeltplane, die als Tafel fungiert, steht ein Text aus einem Lesebuch für die dritte Klasse. Hitler wird als Heilsbringer und Erretter Deutschlands dargestellt. Ein am Pult sitzender Schüler zeigt die Merkmale eines künftigen Soldaten.
Der zweite Raum ist explizit der Pogromnacht gewidmet. Ein eingeschlagenes Fenster, beschmiert mit der Parole „Juden raus“, große Mengen Glasscherben sowie verschiedene Gegenstände sollen die Gewalt und die Plünderungen in dieser Nacht darstellen. Der dritte Raum hat das Leben und Leiden in den Konzentrationslagern zum Thema und verweist auf die Deportationen von jüdischen Mitbürgern. Die Darstellung eines vor Schmerzen gekrümmten Menschen, der sich aus Verzweiflung in den Stacheldraht geworfen hat, ist das Kernelement. Eine Ecke des Raumes befasst sich mit der menschenunwürdigen Unterbringung und Versorgung der Gefangenen.
Der vierte Raum zeigt den Antisemitismus heute und fordert den Besucher auf, seine Haltung zum Thema Nationalsozialismus zu hinterfragen. Dazu ist er mit vielen Spiegeln ausgestattet und zeigt zudem den Umriss eines Neonazis mit Baseballschläger.
3) Die Briefmarkenausstellung
Die dritte Ausstellung stellt Gedenkbriefmarken aus, die sowohl Widerstandskämpfer und Opfer des Nationalsozialismus als auch Orte der NS-Verbrechen zeigen. Zudem stellt auch diese Ausstellung den Bezug zu Recklinghausen her, indem sie Recklinghäuser Straßen, die nach Opfern und Gegnern der Nazi-Diktatur benannt sind, darstellt und dort, wo es möglich war, die entsprechenden Gedenkbriefmarken zeigt.
4) Weitere Bestandteile der Gedenkfeier
Herr Möllers und Herr Pohl führten im Anschluss an die Gedenkfeier einen Alternativen Stadtrundgang durch, der an sieben Stationen (vom Altstadtmarkt bis zur Synagoge) die Judenverfolgung in Recklinghausen zur Zeit des NS zeigte.
Eine Schülergruppe legte an jeder Station einen Gedenkstein nieder, der jeweils eine andere Aufschrift trug und dadurch für Werte wie „Zukunft“ stand. Zudem las diese Gruppe passende Gedichte (z.B. Ich bin ein Stern von Inge Auerbach) oder den Shylock-Monolog vor.
Den Abschluss bildete die Gedenkveranstaltung am Mahnmal beim Finanzamt, bei der unter anderem eine Schülergruppe aus dem Buch „Aber Steine reden nicht“ von Carlo Ross vorlas.
(Gebhard Warmer)